Lerntypen: Ein überholtes Konzept …
Die Vorstellung, dass Menschen am besten lernen, wenn der Unterricht an ihre bevorzugte Wahrnehmung – visuell, auditiv oder haptisch – angepasst wird, ist weit verbreitet. Doch in der wissenschaftlichen Lernforschung gibt es deutliche Hinweise darauf, dass dieses Konzept wenig tragfähig ist. In Hanna Hardelands Buch „Lerncoaching und Lernberatung“ (2024) wird dieses Thema differenziert betrachtet und kritisch hinterfragt.
Was genau besagt die Lerntypen-Theorie?
Die Idee der Lerntypen basiert auf der Annahme, dass Lernende besonders effizient lernen, wenn die dargebotenen Informationen ihrem bevorzugten Sinneskanal entsprechen. Diese Theorie wurde seit den 1970er Jahren populär und ist bis heute in Schulen und Weiterbildungseinrichtungen präsent. Doch die empirischen Belege für diese Annahme sind nicht ausreichen, um sie als wissenschaftlich fundiert zu betrachten.
Die kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept
Die Vorstellung fester Lerntypen ist in mehrfacher Hinsicht problematisch:
- Fehlende wissenschaftliche Evidenz
Es gibt keine belastbaren Studien, die zeigen, dass eine Anpassung des Unterrichts an einen spezifischen Lerntyp langfristig bessere Lernerfolge erzielt. Vielmehr zeigen Untersuchungen, dass der Lerninhalt die Methodenauswahl bestimmen sollte – nicht ein vermeintlicher individueller Lerntyp. - Einschränkung der Lernflexibilität
Wenn sich Lernende auf eine bestimmte Sinnesmodalität fixieren, kann das dazu führen, dass sie alternative Strategien vernachlässigen. Lernen ist jedoch ein komplexer Prozess, der von Vernetzung und Variabilität profitiert. - Schubladendenken statt individueller Förderung
Die Kategorisierung von Schüler/innen in bestimmte Lerntypen kann dazu führen, dass Lehrkräfte sich in der Methodenauswahl einschränken und Schülerinnen und Schüler sich selbst limitieren („Ich kann das nur visuell lernen“). Dabei sind vielseitige Lernstrategien oft der Schlüssel zum Erfolg.
Was sind Alternativen?
Anstatt Lernende in feste Typen einzuteilen, plädiert Hardeland für einen dynamischen Ansatz, der sich an den jeweiligen Inhalten und individuellen Bedürfnissen orientiert. Ihr Buch betont mehrere zentrale Prinzipien:
- Vielfalt statt Fixierung: Effektives Lernen integriert verschiedene Methoden, um das Gedächtnis und das Verständnis optimal zu fördern. Multisensorische Lernstrategien – also das Zusammenspiel von Sehen, Hören, Sprechen und Bewegung – sind erwiesenermaßen erfolgreicher als eine Beschränkung auf eine Modalität.
- Anpassung an den Lerninhalt: Die Wahl der Methode sollte nicht von einem angeblichen Lerntyp abhängen, sondern von der Art des zu lernenden Materials. Mathematische Konzepte profitieren oft von visuellen Darstellungen, während Sprachunterricht stark von auditiven und kommunikativen Methoden lebt.
- Metakognitive Strategien entwickeln: Statt Lernende auf feste Typen festzulegen, ist es zielführender, sie zu befähigen, ihre eigenen Lernprozesse zu reflektieren und bewusst verschiedene Strategien auszuprobieren. Flexibilität und Selbstregulation bringen langfristig den größten Lernerfolg.
Fazit: Ein überholtes Modell mit Risiken
Die Idee fester Lerntypen ist nicht nur wissenschaftlich fragwürdig, sondern auch pädagogisch problematisch ist. Anstatt Lernende auf eine bestimmte Wahrnehmungsebene zu reduzieren, sollte der Unterricht methodisch vielseitig sein und auf die jeweilige Lernsituation abgestimmt werden.
Weiterführende Lektüre
📖 Hanna Hardeland (2024): Lerncoaching und Lernberatung. (9. unveränderte Auflage. Hohengehren: Schneider. Das Buch gibt wertvolle Einblicke in die Mechanismen erfolgreichen Lernens und zeigt praxisnahe Wege auf, wie Lernstrategien sinnvoll optimiert werden können.
Links & Quellen:
Link zum Artikel des deutschen Schulportals.
Die Studie runterladen: s41539-023-00190-x